Philip Gnadt studierte an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Sein Abschlussfilm ZWÖLF SEITEN wurde 2010 mit dem Publikumspreis bei den Independent Days International Filmfest (IDIF) Karlsruhe ausgezeichnet. Er arbeitet als freier Regisseur für Unternehmens- und Dokumentarfilme. Zusammen mit Mickey Yamine arbeitet er an GAZA SURF CLUB seit 2012.

Wie haben Sie die Idee entwickelt einen Film über das Surfen in Gaza zu drehen?

Ein guter Freund vom mir, den ich während meines Studiums in Stuttgart kennengelernt habe, ist im Gazastreifen aufgewachsen. Er hat in mir ein generelles Interesse für die Region geweckt. Bevor ich ihn kennenlernte war Gaza für mich ein diffuses Detail in diesem so unendlich komplizierten Nahostkonflikt. Durch seine persönlichen Geschichten wurde dieser kleine Küstenstreifen zwischen Israel und Ägypten für mich greifbarer und mir wurde das erste Mal bewusst, wie abgeriegelt dieses Stück Land wirklich ist. Auf der anderen Seite war es auch ermüdend, immer wieder diese schrecklichen Geschichten zu hören, in denen jeder dem anderen die Schuld gibt. Geändert hat dies eine Fotostrecke in einem Sportmagazin, die mich regelrecht ansprang: Wahnsinnig schöne Schwarzweißfotos von Surfern am Strand von Gaza-City, im Wasser und in ihrem Alltag, Zuhause. Ich spürte regelrecht die positive Energie, die von diesen Surfern auf den Bildern ausging. In diesem Moment war die Idee, einen Dokumentarfilm darüber zu machen nicht mehr weit entfernt. Ein Film über einen Sport, der wie wenig andere für persönliche Freiheit steht, in einem der isoliertesten Länder der Welt und das Ganze mit einer positiven Grundstimmung, obwohl es in einem Kriegsgebiet stattfindet. Das war die Grundidee von GAZA SURF CLUB.

Wie haben Sie die Protagonisten gefunden?

Über Hossam, diesen Freund aus Stuttgart, haben wir in Gaza einen Journalisten kontaktiert, der an den Strand fuhr, ein paar der Surfer ansprach und einen Skypecall organisierte. In diesem ersten Skypecall war witzigerweise Ibrahim, unser späterer Hauptprotagonist im Film, bereits dabei. Zu diesem Zeitpunkt war das Ganze aber noch sehr vage und ich denke, die Surfer, mit denen wir skypten glaubten nicht wirklich, dass wir tatsächlich kommen würden. Meine persönliche, große Hürde war die Sprache. Einen Dokumentarfilm zu machen, bei dem man die Sprache der Protagonisten nicht versteht, ließ mich zu Beginn an dem Projekt zweifeln. Nachdem ich aber mit Mickey Yamine einen Produzenten gefunden hatte, der sowohl arabisch als auch deutsch sprach und das Projekt liebte, wurde das ganze realistischer. Wir sind dann im Mai 2013 zu einer kurzen Recherchereise in den Gaza Streifen gefahren, auf der wir einen Teil der Surfer kennenlernten. Ibrahim war wieder dabei und er war so etwas wie der ruhende Mittelpunkt in dieser relativ lose zusammengewürfelten Gruppe von Surfern und er war sympathisch. Das einzige Problem war, dass er mit Abstand am wenigsten gesprochen hat, was für einen potenziellen Protagonisten natürlich fatal ist.
Als wir anderthalb Jahre später zum eigentlichen Dreh nach Gaza kamen, war Ibrahim allerdings wie verwandelt. Er plauderte, war offen und hatte diese wahnsinnige Idee ein Praktikum auf Hawaii zu machen, was ihn als Protagonisten natürlich sehr spannend machte.
Mit Sabah, dem Mädchen, verhielt es sich etwas anders. Sie haben wir erst während unseres Drehs kennengelernt. Stefanie Yamine, unsere ägyptisch-libanesische Koproduzentin, hat gut drei Wochen gebraucht, um das Vertrauen von Sabahs Vaters zu erlangen. Er ist ein sehr geselliger und umgänglicher Typ, aber er hatte doch Bedenken was unseren Film anging. Der Tag auf dem Wasser war unser letzter Drehtag, nach knapp sechs Wochen In Gaza.


Wie haben Sie den Dreh vorbreitet? Gab es Besonderheiten im Hinblick auf die politische Lage?

Wenn man vorhat, in den Gazastreifen zu reisen, ist das natürlich auf jeden Fall besonders und bedarf gründlicher Recherche, wie man denn überhaupt rein kommt. Es ist de facto neben Nordkorea das am meist abgeriegelte Land auf diesem Planeten. Da unser Produzent Mickey Yamine in Ägypten aufgewachsen ist, war es für ihn naheliegend, unsere Recherchereise über Ägypten und den Grenzposten Rafah zu organisieren, was auch recht gut klappte. Wenige Wochen nachdem wir wieder draußen waren, wurde aber der damalige Staatspräsident Mohammed Mursi entmachtet und Abd al- Fattah as-Sisi kam an die Macht. Eine Folge dieses Machtwechsels war, dass die Beziehungen zur
Hamas, die seit 2006 den Gazastreifen regiert, auf Eis gelegt und die Grenze in Rafah mehr oder weniger geschlossen wurde. Nun musste also eine Lösung via Israel gefunden werden. Um es abzukürzen, der Schlüssel zur Einreise über den Grenzposten Erez waren israelische Presseausweise für das gesamte Team, mit denen wir dann relativ unkompliziert einreisen durften. Nachdem aber alle Papiere für das Frühjahr 2014 vorbereitet waren und wir die Flüge buchen wollten, bahnte sich ein neuer kriegerischer Konflikt zwischen Israel und der Hamas an, der sich über den gesamten Sommer zog: Operation Protektive Edge. Schlussendlich sind wir dann mit über einem Jahr Verspätung, Ende Oktober 2014, mit 19 Kisten und Taschen für sechs Wochen, nach Gaza eingereist.


Gab es Besonderheiten bei der Vorbereitung im Hinblick auf das Thema Surfen?

Die größte Herausforderung in Bezug auf das Surfen war, dass wir alle noch nie Surfaufnahmen gemacht hatten. Wir begannen also Surf-Filme zu schauen und nach Unterwassergehäusen zu recherchieren. Schließlich war ich mit unserem Kameramann, Niclas Reed Middleton, und meinem Bruder, in seiner Funktion als Hobby-Surfer, in Sankt Peter Ording um Testaufnahmen zu machen, was relativ ernüchternd war. Auf der Linse waren entweder Wassertropfen oder sie beschlug. Außerdem war es extrem schwer die Kamera in den Wellen halbwegs ruhig zu führen. Es folgten Stunden in diversen Foren, Tests und Telefonate mit Leuten, die entweder auch keine Ahnung hatten oder ihre Tricks nicht wirklich verraten wollten. Geholfen haben uns am Ende zwei Dinge. Zum einen rohe Kartoffeln, die, frisch angeschnitten, auf der Linse extrem wasserabweisend den Blick der Kamera frei halten. Zum anderen eine Art Floß, das wir in Gaza zusammen mit diversen örtlichen Handwerksbetrieben nach dem Trial-and-Error-Prinzip zusammenbastelten. Das Ergebnis waren zwei blaue Regentonnen, die halb mit Zement gefüllt und über eine Stahlkonstruktion miteinander verbunden waren. Das Gesamtgewicht war an die 200 kg, irre schwer, aber es hat unsere Arri Amira halbwegs ruhig im Wasser gehalten.


Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh vor Ort?

Neben einigen Hürden was die Reise an sich anging, war die größte Herausforderung, ähnlich wie bei vielen Dokumentarfilmen, den Protagonisten möglichst nahe zu kommen. Allerdings gab es hier eine Besonderheit. Die Menschen in Gaza sind durch die Berichterstattung über die vielen Konflikte an Kameras gewöhnt. Viele von ihnen haben schon Interviews gegeben und eine Art Repertoire an Antworten parat, die für kurze News-Clips passen. Eben diese Antworten haben wir auch an den ersten Drehtagen zu hören bekommen. Alles Weitere war dann viel Überzeugungsarbeit und Geduld um einen Blick hinter die parat sitzenden Antworten zu bekommen.


Gibt es besondere Momente am Set, an die Sie sich erinnern?

Oh, da gibt es viele. Aber eine Sache werde ich nie vergessen. Das war der Junggesellenabschied, zu dem wir eingeladen wurden. Ein paar kurze Momente sind davon auch im Film zu sehen. Wir wollten unbedingt auf einer Hochzeit filmen, was aber irgendwie nicht gelingen wollte. Stattdessen wurden wir auf einen Junggesellenabschied eingeladen. Unsere Begeisterung hielt sich in Grenzen. Wir stellten uns vor, wie da ein paar Jungs mit ihren Vätern Wasserpfeife rauchen und in Erinnerungen schwelgen. Trotzdem haben wir uns auf den Weg gemacht. In einem Hinterhof brannte ein Feuer und dumpfe Musik war zu hören. Sobald wir den mit unzähligen Lichterketten geschmückten Saal betraten, wurden wir euphorisch empfangen, mit Palästinenser-Tüchern und Fatah-Fahnen behangen und wie im Rausch auf die Bühne gezerrt. Bei ohrenbetäubender arabischer Livemusik wurden wir dann zum Tanzen „genötigt“. Ein ganzer Saal voller wie in Rage tanzender Männer und wir mittendrin, auf Schultern, umarmt oder in einem Kreis tanzend, abwechselnd mit Fanta und Tee abgefüllt. So eine Euphorie und Lebensfreude habe ich noch nie erlebt. Man muss dazu wissen, dass es in Gaza keinerlei öffentliche Tanzveranstaltungen gibt. Die einzige Ausnahme sind Hochzeiten. Die Szenen, die im Film zu sehen sind, sind dann leider schon nach dem Höhepunkt der Party, vorher war ans Drehen überhaupt nicht zu denken.


Warum sollte man sich GAZA SURF CLUB unbedingt anschauen?

Jeder hat im Laufe seines Lebens schon mal etwas vom Gazastreifen gehört. In besonders schlimmen Zeiten ist in jeder zweiten Nachrichtensendung davon die Rede. Und trotzdem hat kaum jemand eine Ahnung wie der Alltag dort wirklich aussieht. Natürlich zeigen auch wir nur einen kleinen Ausschnitt der palästinensischen Wirklichkeit im Gazastreifen, aber ich hoffe, dieser hier ist neu, erfrischend und positiv.

ernlegrafik weiss